"Es schadet nicht, wenn der Inhalt lustig ist"

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Buzzfeed-Vize Scott Lamb über digitalen Journalismus und bessere Werbung

Hier die längere, ungedruckte Version des Gesprächs: 

Herr Lamb, Sie stiessen 2006 kurz nach dem Launch zu Buzzfeed. Was hat Sie als gestandener Kulturredaktor bei Salon.com daran interessiert?

Ein Buzzfeed-Artikel bestand damals aus einer Headline, ein paar Zeilen Text und Links zu andern Websites. Das war‘s. Der springende Punkt der Website war, herauszufinden, worüber die Leute online sprachen. Das faszinierte mich. Und das Ganze hatte einen sehr experimentellen Charakter. Wir waren zwei Redaktoren, ein Entwickler, ein Designer und Jonah, der Gründer. Fertig. Wir begannen in einem kleinen Office in China Town in New York City.

Heute ist Buzzfeed sehr erfolgreich. Nennen Sie uns  drei Gründe dafür.

Wie  gesagt waren wir sehr experimentell. Und das sind wir immer noch. Das Web hat sich stark verändert, aber wir konnten uns ständig anpassen und haben ausprobiert, was als nächstes kommen könnte. Zweitens haben wir immer sehr viel in Technologie investiert; wir haben ein grosses Softwareentwickler-Team, das ganze Inhaltsverwaltungssystem haben wir selbst entwickelt. Und drittens sind wir fokussiert geblieben und haben uns auf teilbaren Inhalt konzentriert. Wir haben weder ein TV Programm oder noch ein anderes Medium gestartet.

Für Buzzfeed sind geteilte Inhalte zentral. Je mehr Leute Stories teilen, desto besser. Ist Teilen die neue Klick-Rate?

 Ja, für uns ist es das Mass, das uns am meisten interessiert. Wenn wir einen Post haben, der Millionen mal angeschaut wurde, aber nicht über Sharing, sondern weil die Leute in Buzzfeed darauf klicken, finden wir das nicht besonders erfolgreich. Am wertvollsten ist für uns Inhalt, der besonders viel geteilt wird, weil die Leute sich ihre Info zunehmend selbst zusammenstellen wollen. Über 70 Prozent der Besucher gelangen heute über soziale Netzwerke auf Buzzfeed.

Warum wird gewisser Inhalt mehr geteilt als anderer?

Viraler Inhalt ist typischweise Inhalt, der etwas über die Person aussagt, die ihn teilt. Wenn du «Die 10 besten Literaturzitate» teilst, willst du deinen Freunden irgendwie auch sagen, dass du kulturell bewandert bist. Zudem schadet es nicht, wenn der Inhalt lustig ist (lacht). Journalisten sind manchmal etwas schüchtern, wenn es darum geht, bei ernsten Themen lustig zu sein. Humor ist ein wunderbarer Weg, um Leute für eine Nachricht zu begeistern. Und drittens ist es gut, an die freudigen Seiten zu appellieren. Für uns ist es wichtig, dass die Leute Dinge liken.

Untersuchungen zeigen aber, dass geteilter Inhalt noch lange nicht auch gelesen wird.

Gewisse Leute sehen eine 6000-Wörter-Geschichte, die sie nicht lesen werden, aber sofort teilen, weil sie den Titel sehen und denken, dass sie interessant sein könnte. Gleichzeitig sind wir aber überrascht, wie viel die Leute auf Smartphones lesen, wie weit sie scrollen…

Sie können messen, wie weit die Leute runter scrollen oder wie viel Zeit sie dort verbringen.

Ja, wir haben mit eigenen Analysewerkzeugen angefangen, das zu studieren. Das  wird zunehmend eine nützliche Metrik für Websites sein, auf die es zu schauen gilt. Es stimmt, nicht alle lesen, was sie teilen und ich denke, es geht zunehmend darum zu analysieren, was die Leute eigentlich auf der Seite tun.

Datenanalyse ist also auch wesentlich an Buzzfeeds Erfolg beteiligt.

Ja, definitiv. Wenn man ein Stück Inhalt haben kann, das nur ein paar Prozent besser performt, ist das in der Werbewelt ein Riesen-Gewinn. Genauso verhält sich mit den Geschichten auf der Buzzfeed-Frontpage. Wenn wir es erreichen können, dass eine Geschichte etwas mehr als das Ganze geteilt wird, ist das eine grosse Sache.

Müssen Medienunternehmen künftig also auch Datenanalysefirmen sein?

Davon bin ich überzeugt. Jedes Medienunternehmen hat das Ziel, dass möglichst viele Leute seine Inhalte lesen. Eine digitale Medienfirma hat den wundervollen Vorteil, dass es messen kann, wie verschieden die Leute mit der Arbeit interagieren. Digitale Medienfirmen, die nicht über Datenanalyse nachdenken, sind kurzsichtig. Sie macht das Produkt für den Leser besser, kann Journalisten helfen, ihre Arbeit anders anzugehen, und man kann bessere Werbeprodukte liefern. Man kann alles verbessern, wenn man messen kann.

Ist der digitale Zug für die etablierten Medien schon abgefahren?

Auf keinen Fall. Ihr grösster Vorteil ist die Marke und sehr gute Leute, die für sie arbeiten. Sie bieten sehr hohe Qualität. Das Problem ist, dass viele Print-Journalisten nicht gemessen werden wollen, weil sie glauben, dass das zu Qualitätsverlust führe. Ich verstehe die Angst, aber es täuscht.  Verleger müssen diese Denkweise dringend überwinden, wenn sie digital arbeiten wollen. Die Alternative ist, weiter Print zu machen und neue Arten auszuprobieren, wie man ein Print-Produkt macht, für das die Leute Geld auszugeben bereit sind. Aber wenn sie mal einen Fuss in die digitale Welt gesetzt haben, müssen sie das Spiel weiterspielen.

Wenig belannt ist, dass Buzzfeed  auch in investigativen Journalismus investiert.

Das Investigativ-Team ist gerade gestartet. Wir glauben, dass Aufdeck-Journalismus eine hohe soziale Komponente hat. Die Leute sind gierig darauf, News zu teilen, die sonst niemand hat. Wir werden sehen, für uns ist es Experiment.

Das sind gute Nachrichten für Journalisten.

Ja, als Journalist freut es mich auch. Über soziale Medien nachzudenken eröffnet viel Hoffnung für Journalisten, wenn man herausfindet, wie man ihre Arbeit zu Geschäft machen kann.

Apropos Geschäft. Werbebanner gibt es bei euch nicht. Ihr macht allen Umsatz mit Native Advertising, das heisst, Werbekunden schalten auf Buzzfeed Buzzfeed-ähnliche Inhalte, die in den sozialen Netzwerken möglichst viel weitergericht werden sollen. Wie viel kostet so eine Kampagne?

Typischerweise geben Inserenten mehrere hundert tausend Dollar dafür aus. Unser 50-köpfiges Creative Team arbeitet direkt mit den Kunden zusammen und produziert alle Werbung auf Buzzfeed.

Haben Sie kein schlechtes Gewissen, weil sich redaktioneller und Werbeinhalt kaum mehr unterscheiden lassen?

Nein, wir versuchen möglichst klar zu kennzeichnen, dass ein Inhalt von einer Brand gesponsert ist. Es ist nicht in unserem Interesse, unsere Leser zu hintergehen. Auch nicht im Interesse der Inserenten. Wir sind immer noch am Experimentieren, um es möglichst klar zu machen.

Laut einer aktuellen Studie schaut sich nur jeder Dritte ein gesponsertes Video länger als 15 Sekunden an, während es bei redaktionellen Clips zwei Drittel sind. Geben Firmen bei euch viel Geld für nichts aus?

Bei uns beobachten wir das nicht. Aber ich glaube, dass diese paar Sekunden immer noch viel wertvoller sind, als eine kleine Interaktion mit einem Werbebanner, das die meisten Leite ignorieren.

Wann wird Buzzfeed in Deutschland starten?

Frühestens im Mai oder Juni. Wir sind dabei, ein Team zusammenzustellen. Ich spreche mit vielen Leuten, es gibt viele Talente hier in Berlin. Aber wir haben noch niemanden eingestellt.

Wird das deutsche Buzzfeed auch Journalisten aus der Schweiz einstellen?

Das ist noch offen. Vielleicht stellen wir in der Schweiz und Österreich Freelancer an. Aber es ist noch früh.

Früh?

Ja, ich meine, ich habe erst im November mit diesem Job angefangen. Wie sind keine Experten in Sachen internationale Ausbreitung.

Im deutschsprachigen Raum gibt es bereits watson.ch und blickamabend.ch, die ähnliches machen wie Buzzfeed. Ist da noch Platz für euch?

Ja, beide Sites sind nah aufeinander gestartet, was zeigt, dass es einen Markt für diese Art von Kommunikation gibt. Ich rechne damit, dass im Laufe des Jahres weitere Seiten starten werden.

In Deutschland?

Ja, das ist aber nur mein Gefühl. Nichts, was mir jemand gesagt hätte.

In letzter Zeit sind im Internet viele Medien-Angebote gestartet. Liegt das Geld plötzlich auf der Strasse?

Das ist eines der komischsten Dinge der letzten paar Jahre, dass Geldgeber in Medien-Start-ups investieren. Wahrscheinlich wegen Sites wie die  Huffington Post oder Buzzfeed, recht erfolgreichen Inhaltefirmen. Besonders in Regionen, wo es kein Buzzfeed gibt, denken die Leute, dass sich eine Investition in dieses Inhaltemodell auszahlen könnte.

Was halten Sie von Watson.ch?

watson.ch und BlickamAbend.ch machen einen guten Job. Ich habe auf Watson.ch gute Werbekampagnen gesehen. Es scheint, als würden sie dieses neue Modell erfolgreich ausprobieren.

Weder BlickamAbend.ch noch watson.ch setzen auf Datenanalyse. Reicht es, lustig zu sein?

Es braucht drei Standbeine für gute Geschäfte. Man muss eine gute Redaktion haben, eine solide Technik und ein Werbeprodukt, das die Leute kaufen. Hat man nur zwei davon, wird es hart. 

Ist eine Übernahme von watson.ch durch Buzzfeed ein mögliches Szenario?

Bis jetzt haben wir keine Akquisitionen gemacht. Aber wir sind Anfänger in Sachen Expansion und an gewissen Orten würde das vielleicht Sinn machen.

Die vielen Buzzfeed-Klone kommen wie gerufen…

Ja, wir könnten warten und dann die besten pflücken. Ich kann das nicht ausschliessen. Wenn wir so was tun würden, dann weil wir an den Leuten interessiert sind, die dort arbeiten. Grundsätzlich wäre es möglich.

Interview: Simone Luchetta

Hier gehts zur kürzeren Version in der SonntagsZeitung vom 6. April 2014.

Hier zum PDF des Interviews in der Sonntagszeitung.