Der Haupttext mit dem leider etwas unglücklichen Titel "Die Rückkehr der Profispieler" - mit Profi-Gaming hat das nämlich nichts zu tun, vielmehr sind Hardcore-Gamer gemeint, im Gegensatz zu den so genannten Casual Gamern - gibt einen Überblick über über das dreitätige Geschehen an der E3:
Die Rückkehr der Profispieler
Nach Senioren, Frauen und Kindern will die Game-Branche ihr Stammpublikum zurückgewinnen
Sir Peter Molyneux sitzt auf einem Barhocker. Im Halbschatten, mit ausgeprägter Nase und starken Augenbrauen sieht er aus wie der Magier aus einem Fantasygame. Dann tritt der Star-Entwickler ins Licht und präsentiert einer Handvoll Journalisten sein neues Videospiel. «Bei ‹Fable IV – The Journey›», sagt er, «dreht sich alles um Freiheit. Seit Jahren drücken wir wie Sklaven die Knöpfe am Controller, und es ist höchste Zeit, dass wir etwas anderes tun. Genau das ermöglicht Kinect.»
Handyschnappschuss: Peter Molyneux an der E3.
Schöner hätte kein Microsoft-PR-Manager die eigene Gestensteuerung anpreisen können. Was Molyneux dann zeigt, ist wenig, aber beeindruckend: Er reist mit der Kutsche und hält virtuelle Zügel in der Hand. Mit Armbewegungen nach links oder rechts steuert er das Pferd. Das Tier reagiert auch auf Sprachbefehle und kann gefüttert werden. «Das Pferd haben wir realistisch gezeichnet, damit es zu einer moralischen Entscheidung wird, wie man es behandelt», sagt Molyneux. Feinde erledigt man in «The Journey» nicht mit Schwertern, sondern mit Magie – gezaubert wird mit den Händen.
Casual Games machen den Grossen den Markt streitig
Molyneux Game ist nur eines von vielen, die diese Woche an der E3 in Los Angeles angekündigt wurden. Alljährlich treffen sich gegen 50 000 Spielentwicker, Verkäufer und Konsolenhersteller an der weltweit wichtigsten Videospielmesse und lassen ihre Muskeln spielen. In grossen, dunklen Hallen zeigt man auf Riesenleinwänden, auf weichem Teppichfloor und mit Höllenlärm, was man hat.
Die Branche steht vor grossen Herausforderungen. Billige, sogenannte Casual Games – für Smartphones, Tablets und soziale Netzwerke – machen den Spielefirmen zu schaffen. Geräte werden den Herstellern nicht mehr aus den Händen gerissen, wie der zögerliche Absatz der portablen Konsole Nintendo 3DS zeigt.
Als Reaktion darauf besinnt sich die Branche auf den «Core-Gamer», auf jenen also, der einst als einziger, dafür mit Leidenschaft, vor der Konsole sass. Ihn hat sie in den letzten Jahren vernachlässigt zugunsten von Frauen, Kindern und Senioren, die mit Bewegungssteuerungen ins Boot geholt wurden.
Microsoft versucht es mit einem Spagat und garniert künftig Spiele wie «Mass Effect 3» oder das Autorennspiel «Forza 4» für eingefleischte Gamer mit Kinect-Elementen. Hardcore-Spieler werden ermuntert, Spielsequenzen mit dem Körper zu steuern wie Molyneux eingangs mit der Kutsche.
Liebhaber sind indes skeptisch, ob ihnen Kinect die gewohnte präzise Spielweise erlauben wird. Chris Lewis, Vizepräsident für das Xbox-360-Geschäft in Europa, will davon nichts wissen: «Core-Spieler wollen Kinect, wenn die Bewegungssteuerung ein Spiel sinnvoll ergänzt», sagt er. Lewis ist überzeugt, Xbox 360 so zur weltweit bestverkauften Konsole zu machen.
Seit November wurde Kinect rekordmässige zehn Millionen Mal verkauft. Die Xbox liegt derzeit mit weltweit 55 Millionen verkauften Einheiten auf Platz zwei, vor Sonys Playstation 3, die 50 Millionen Mal an den Handel ausgeliefert wurde, und hinter Marktführer Nintendo mit 86 Millionen Wiis.
Nintendo ihrerseits will die Core-Spieler mit der Konsole Wii-U zurückgewinnen. Sie kann auch hochauflösende Bilder zeigen. Wegen der schwächeren Grafikleistung der Vorgänger-Wii haben die Japaner manche Stammspieler und Entwickler an die Konkurrenz verloren. Die Touchscreen-Konsole scheint die Drittanbieter zu überzeugen: Diverse Spiele sind bereits in der Entwicklung, darunter Verkaufsschlager wie «Assassins Creed» oder «Darksiders 2».
Stark angeschlagen kam Sony an die E3. Das Playstation-Netzwerk stand während Wochen wegen Sicherheitsproblemen in der Kritik. Jetzt will man mit der neuen Hosensack-Konsole Playstation Vita positive Schlagzeilen machen. Sie richtet sich an anspruchsvolle Gamer und macht es möglich, grafisch anspruchsvolle Spiele unterwegs zu spielen.
Integration der Gestensteuerung statt innovativer Spielideen
Doch die PS Vita dürfte sich kaum an die Massen verkaufen. Statt 300 Franken auszugeben, spielen diese auf ihren iPhones und Tablets. Davon gibt es viele: Bis Mai sind laut Google weltweit 100 Millionen Android-Handys aktiviert worden, und Apple verkündete, dass sie seit Juni 2007 200 Millionen iPads und iPhones verkauft hätten. Im Vergleich nehmen sich die abgesetzten 68 Millionen PSP-Konsolen gering aus.
Schlagzeilen machte an der E3 also primär die Hardware. Neue Spielemarken waren kaum auszumachen, der wenig risikoreiche Trend zu Serien scheint ungebrochen: «Fable IV», «Mass Effect 3», «Bioshock 2». Positive Ausnahmen sind die beiden Kinect-Titel «Star Wars» und «Disneyland Adventure» (siehe Seite 71).
Anstatt originelle Spiele zu entwickeln, ist die Branche hauptsächlich damit beschäftigt, die Gestensteuerung in bekannte Titel zu integrieren. Die innovativsten Ansätze kommen dabei nicht einmal von den Herstellern selber, sondern von Kinect-Hackern. Anwendungen der Microsoft-Technologie werden im neuen «Kinect Fun Labs» gesammelt und präsentiert. So stellt sich der Spieler beim Körperscanner «Kinect Me» vor die Kamera, und die Software erstellt automatisch einen Avatar, der ihm verblüffend ähnlich sieht. «Kinect Fun Labs» ist ab morgen Montag für Xbox-Nutzer verfügbar.